Egon Schieles Gemälde Stadtende/Häuserbogen III (1918) gehört zu den wertvollsten Objekten des Joanneums. Da vorderseitig die Haftung der oberen Farbschicht gefährdet war, wurde das Gemälde anlässlich der Wiedereröffnung der Neuen Galerie Graz im Joanneumsviertel in der zentralen Restaurierungswerkstatt des Universalmuseums Joanneum behandelt. Eine Porträt-Skizze auf der Gemälderückseite war bereits bekannt und wurde als rückseitig aufgebracht interpretiert. Im Mai 2011 wurden auf dem Bild zwei unvollendete bzw. verworfene Porträt-Skizzen entdeckt. Eine davon hat ihre Entsprechung auf der Rückseite als Farbdurchschlag, die andere liegt unter einer Farbschicht. Für die Porträts verwendete Schiele den Malgrund ursprünglich hochkant, das Gemälde Stadtende legte er im Querformat an, so dass die Köpfe der Porträtierten heute links und rechts im Bild zu finden sind. Zwischen Skizzen und Stadtende liegen fünf Jahre. Im Aufbau der Bildarchitektur und in Details (Bäume, Fenster) zeigt das Gemälde stilistische Übereinstimmungen mit gleichen Sujets. In der Belebtheit durch menschliche Figuren unterscheidet sich das Grazer Bild aber von anderen Stadtansichten. Sehr erfreulich war die Deutung der Dargestellten: Vergleiche mit Zeichnungen Schieles belegen, dass es sich mit großer Sicherheit um 1913 geschaffene Vorstudien zum Doppelporträt Heinrich und Otto Benesch am Lentos Kunstmuseum Linz handelt.
Das Außergewöhnliche innerhalb von Schieles Schaffen liegt aber darin, dass er das Porträt des Heinrich Benesch (1862–1947) nicht wie das seines Sohnes Otto (1896–1964) übermalte, sondern sie ähnlich einer anthropomorphen Landschaft zur Grundlage der Architektur des vorliegenden Stadtdetails von Krumau machte. Dabei gestaltete er die Arme zu einer Häuserreihe um, das Revers des Anzuges wurde zu einer Mauer. Originell verfuhr er mit Augen, Ohr und Bart, in welche er Baumkronen legte (nur im Umfeld des Porträts finden sich Bäume). Die Pastositäten im Bereich der Hände kratzte er ab, bevor er darüber malte, während er die pastosen Inkarnatpartien des Porträts seines frühen Förderers stehen ließ. Obwohl das Gemälde eingehend in der Fachliteratur behandelt wurde und auf vielen Ausstellungen zu sehen war, blieben die Gesichter bislang verborgen. Ein Beweis dafür, dass es auch in Vertrautem immer etwas zu entdecken gibt.
Dieser in Band II des ESJB erscheinende Artikel basiert auf dem Vortrag, den Paul-Bernhard Eipper am 15. Juni 2012 auf dem 1st International EGON SCHIELE RESEARCH SYMPOSIUM in Neulengbach gehaltenen hat.
>> Programm des 1st ESRS Neulengbach 2012, PDF